Einführung
Die AG Historische Mitte Berlin strebt die Wiedergewinnung des Berliner Stadttkerns, des
ältesten Teils Berlins, als Raum städtischen Lebens und Handelns an. Bis 1945 bestand der seit
dem Mittelalter bestehende Stadtkern Alt-Berlins aus dem östlich der Spree gelegenen Nikolai-
viertel, dem Marienviertel, dem Heilig-Geist-Viertel und Klosterviertel, ferner aus dem westlich
der Spree gelegenen Alt-Cölln, dessen Mittelpunkt der Petriplatz bildete sowie der sich südlich
daran anschließenden Fischerinsel.
Beide Viertel waren vor dem zweiten Weltkrieg über acht Jahrhunderte dicht bebaut – ebenso
wie die benachbarten Nikolai- und Klosterviertel, die auch zu Alt-Berlin zählen. Am 3. Februar
1945 wurden sie – wenige Wochen vor Kriegsende – durch die Bombardierungen in ihrer
Substanz schwer beschädigt.
Gänzlich dem Erdboden gleich machte man sie allerdings erst in den 1960er Jahren. Der Ost-
Berliner Magistrat ignorierte geflissentlich, dass sich zahlreiche Grundstücke vor dem Krieg in
Privatbesitz befunden hatten, etliche auch von den Nationalsozialisten „arisiert“ worden waren.
Man plante hier in den ersten Nachkriegsjahren eine große Aufmarschfläche für Demonstrati-
onen, daher wurden die Privatparzellen enteignet und kurzerhand zu öffentlichem Straßenland
erklärt.
Als angeblich „einsturzgefährdet“ riss man nach und nach sämtliche Gebäude ab und beseitigte
systematisch die gewachsene stadtkulturelle Identität einer vorgeblich untergegangenen Epoche.
Auch das Netz der Straßen und Plätze löschte man vorsätzlich aus, die Namen bedeutender
Straßen verschwanden; nichts sollte mehr an die Altstadt Berlins erinnern.
Stattdessen schuf man ein Ensemble namens Staatsachse der Deutschen Demokatischen Repu-
blik. 1966 geplant und erbaut von dem Chefarchitekten des Ost-Berliner Magistrats, Hermann
Henselmann, der mit diesem von einem 365 hohen Fernsehturm gekrönten Herzstück des
General-Bebauungsplans für die Hauptstadt der DDR der Staatsmitte „Symbolkraft verleihen“
wollte. Die städtebaulichen Großmachtphantasie der DDR wurde 1979 als Gesamtanlage unter
Denkmalschutz gestellt und dabei blieb es auch nach der Wende.
Ebenso rabiat verfuhr man auch mit dem anderen Teil des historischen Stadtkerns, dem
ebenfalls seit dem Mittelalter existierenden Alt-Cölln, am westlichen Spreeufer gelegen. Dies
umfasst die Breite Straße zwischen Schlossplatz und Gertraudenstr. auf der Spreeinsel, ferner
zählen dazu der Petriplatz und der ehemalige Spittelmarkt, die in den 60er Jahren begraben
wurden unter der Asphaltdecke einer achtspurigen Autobahntrasse, die man über die ehemalige
Gertraudenstr, den Mühlendamm und die Grunerstraße legte. Ferner zählt zu Alt-Cölln die
ehemalige Fischerinsel mit ihrer Jahrhunderte alten kleinteiligen pittoresken Bebauung, die man
nach dem Zweiten.Weltkrieg hätte wieder aufbauen können. Stattdessen ließ man die
historischen Häuser leer stehen und systematisch verfallen, bis sie „abrissreif“ waren.
Zwischen 1965 und 1969 errichtete der Ost-Berliner Magistrat hier fünf Hochhäuser in
Plattenbauweise mit jeweils 23 Stockwerken sowie ein Hallenschwimmbad, die auch heute –
über ein Vierteljahrhundert nach der Wende – weiterhin von den einstigen Maximen
sozialistischer Städtebaukultur künden. (Näheres hierzu unter ALT-CÖLLN)
Nach der Entscheidung des 14. Deutschen Bundestages zum Wiederaufbau des Maßstab
setzenden Berliner Schlosses auf der Museumsinsel als Humboldtforum/Museum für
außereuropäische Kulturen, erscheint die Wiedergewinnung des umgebenden historischen
Stadtkerns als Herzstück der Bürgerstadt von entscheidender Bedeutung für Berlins in acht
Jahrhunderten gewachsene geschichtliche Identität. Im September 2019 wird das
Schloss/Humboldtforum seine Tore öffnen und in jedem Jahr – so erwarten es die Veranstalter
– 2 bis 3 Millionen Besucher auf die Museumsinsel locken. Der Geschäftsführer der Stiftung
Humboldtforum, Manfred Rettig, fragt in jüngster Zeit zurecht: „Wie verhält sich die Bürgerstadt
Berlin angesichts dieser Herausforderung?“ Tatsächlich sind (wie seinerzeit auch bei der
Schloss-Wiederaufbau–Debatte vor 2o Jahren) die Bürger in ihren Überlegungen bereits weiter
als die Stadt. Diverse Vereine und Stadtplaner beschäftigen sich mit der künftigen Gestaltung der
städtebaulich beklagenswerten Situation der Areale im Osten und Süden der Museumsinsel.
Einer der prominenteren Vertreter dieser Planspiele ist der vormalige Senatsbaudirektor Dr.
Hans Stimmann, der sich bereits mehreren reich bebilderten Publikationen für eine
Reurbanisierung des historischen Stadtkerns ausgesprochen hat. Hier folgen zwei Fotos aus
seinem jüngsten Bildband mit dem ironischen Titel: „Berliner Altstadt – Neue Plätze rund um
das Schloss“. Auf den Scans, die demnächst durch offizielle Bildwiedergaben ersetzt werden,
erkennt man die derzeitige Stadtmitte mit der Baustelle Humboldtforum; das rechte Foto zeigt
den Stadtkern. In der Bildunterschrift heißt es: „Die Überlagerung des Status Quo mit seiner
historischen Straßen- und Parzellenstruktur öffnet die Augen für die Potentiale des Stadtkerns.
Dabei wird klar, dass das Aufsplitten der Stadtbau-Debatte in einzelne Quartiere diesem Raum
in keiner Weise entspricht. Es bedarf einer zusammenhängenden Gesamtplanung.“
Die AG Historische Mitte Berlin setzt sich dafür ein, dass auf dem Gebiet des einstigen
Stadtkerns ein möglichst vitales Stadtzentrum mit hoher Aufenthaltsqualität entsteht, das die
Geschichte des Ortes erlebbar macht. Angesichts zahlreicher, gesichtsloser funktionaler, beliebig
plazierter Bauten im Berliner Zentrum sieht die AG Historische Mitte Berlin in einer Wie-
deraufbauenden Historischen Reurbanisierung (WHR), basierend auf dem Vorkriegsstraßen-
grundriss, die einzigartige Chance, der Bundeshauptstadt Berlin ein bürgerfreundliches und
wirtschaftsstarkes, von architektonischer Vielfalt geprägtes Zentrum zu schaffen.
Nach der Fertigstellung des Schloss/Humboldtforums sollte dieses den zu erwartenden Tou-
ristenströmen der nahen Museumsinsel attraktive Nutzungsmöglichkeiten im gastronomischen
Bereich und auf kulturellem Sektor bieten, um somit der Gefahr erkennbar zunehmender städte-
baulicher Beliebig- und Bedeutungslosigkeit zu begegnen. Dieses historisch re-urbanisierte
Zentrum soll für die Identitätsbildung der Nation einen wichtigen Stellenwert gewinnen. Es
sollte daher auf traditionelle identitätsstiftende Gestalten und Gebäude zurückgreifen; beste-
hende und zum Teil unter Denkmalschutz stehende Bauten und Denkmäler wieder mehr ins
Bewusstsein zurückrufen, gleichzeitg aber auch bewusst neue Orte mit hoher Aufenthaltsqualität
schaffen, die sich in ihrer Gestaltung auf gewachsene historische Platzräume und Sichtachsen
berufen und um für die Besucher aus aller Welt, für die Berliner und nicht zuletzt für die
Anwohner im vormaligen historischen Zentrum wieder einen attraktiven autofreien Stadtraum
zu gestalten, der zum Verweilen, zum Flanieren einlädt; gleichzeitig jedoch auch bezahlbare
Wohnungen und Kleingewerbe-Möglichkeiten schafft.
Auf dem rechten Bild hat der Berliner Architekt Bernd Albers in einem ersten Visualisierungs-
versuch, die Löcher in der Stadt schon einmal mit kleinparzellierten Bauklötzchen gefüllt. Sie
sollen lediglich der Phantasie Vorschub leisten, wie dicht der historische Stadtkern im Jahre
2030 wieder bebaut sein könnte.
Ziel ist es, eine städtebauliche Einheit – ggf. auch diejenige, die vor 1900 bestand – soweit wie es
möglich ist, wieder herzustellen, durchaus auch mit gelungener zeitgenössischer Architektur,
basierend auf dem historischen Stadtgrundriss.
Die AG Historische Mitte Berlin tritt ein für eine kleinteilige Entwicklung des historischen
Zentrums mit einer relativ strengen, an historischen Vorbildern ausgerichteten Gestaltung,
orientiert an einzelnen Parzellen, die keinesfalls allein oder überwiegend vom Land Berlin
bebaut werden sollten; vielmehr wird eine Vergabe an möglichst viele Bauherren angestrebt, die
sich allerdings verbindlich an eine zuvor erstellte Gestaltungssatzung zu halten haben.
Für die städtebauliche Weiterentwicklung im Bereich des Stadtkerns ist ein Umdenken
erforderlich, da es sich hier nicht um einen städtebaulichen Raum handelt, der allein nach den
zeitgenössischen Vorstellungen der Politiker und Stadtplaner gestaltet werden kann, sondern um
den Gründungsort der Hauptstadt, an dem historische Bezüge und die Wiederfindung der
historischen Identität eine entscheidende Rolle spielen.
Mit einem Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 19.05.2009 wurde nun wenigstens
entschieden, dass – begleitend zum Bebauungsplanverfahren für das Humboldt-Forum – auch
stadtentwicklungspolitische Grundsätze für das „Rathausforum“ formuliert werden sollen. Die
Senatsbauverwaltung steuerte zur Diskussion damals ihre „Visionen 2009“ bei, von denen eine
vorsah, das gesamte Areal zu fluten und in einen gigantischen See zu verwandeln.
Wie auch immer die städtebauliche Zukunft der historischen Mitte in den nächsten Jahren
aussehen wird. Bevor hier irgend jemand etwas plant und baut, sollte er sich zunächst einmal
mit der über 800-jährigen Geschichte des Ortes auseinandersetzen. Seit dem Frühjahr 2015
läuft eine von der Senatsbauverwaltung initiierte Bürgerbeteiligungsdebatte unter dem Titel
„Alte Mitte – Neue Liebe“. Sobald diese erste konkrete Resultate vorweisen kann, werden wir
darüber berichten.
Bei dem von der Senatsbauverwaltung als „ergebnisoffenes Partizipationsverfahren“
bezeichneten Diskussionsprozess verzichtet man bis dato allerdings völlig darauf, die Teilnehmer
über die 800jährige Geschichte des Stadtkern aufzuklären.
Mit ihrer Homepage versucht die AG HMB diese Lücke ein wenig zu schließen. Alle, die uns
hierbei mit Fotos oder Informationen unterstützen wollen, sind hierzu herzlich eingeladen.
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